„Ein langer lohnender Nachmittag“ Kritik zur Lesung am 31. Mai

 

Unter dem Titel 

Autoren des Wiesbadener Limes-Verlags

lobt Viola Bolduan, Ressortleiterin Feuilleton beim Wiesbadener Kurier die von HR2 Kultur mitgeschnittene Lesung in der Villa Clementine vom 31. Mai

WIESBADEN – Sonntag feierte Hessen den „Tag für die Literatur“ und zählte landesweit knapp 20 000 Besucher. Wiesbaden nahm teil mit – zugegeben – kleinerem Publikum im Literaturhaus, als Leiterin Susanne Lewalter dort „bedeutende Autoren des Wiesbadener Limes-Verlags“ vorstellte. Max Niedermayer, gelernter Schriftsetzer und Druckerei-Inhaber, war es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen, in Wiesbaden, im Pariser Hof, mit Leidenschaft und Neugier einen Verlag zu gründen.

Nachkriegszeit

Im Verlagshaus im Pariser Hof trafen sich bedeutende Büchermacher aus Leipzig, die von der amerikanischen Besatzung bewusst in die hessische Landeshauptstadt übergesiedelt worden waren. Mit ihnen teilte Niedermayer das Warten auf die Drucklizenz und die Sorge um genügend Papier. Er wusste wie sie, dass zum Leben nicht nur das Überleben, sondern auch das Buch gehört.

Max Niedermayer selbst hat ein Büchlein, „Pariser Hof“, geschrieben, in dem er seine Autoren präsentiert. An die wichtigsten darunter wurde im Literaturhaus erinnert. Armin Nufer rezitierte aus den Werken und Cornelia Zimanowski komplettierte mit Eigenkompositionen auf dem Flügel (und mit anderen kleinen Instrumenten). Der Verleger hatte keine Scheu vor den unterschiedlichen Temperamenten, den verschiedenen Ausdrucksstilen seiner Autoren, den literarischen Entwicklungen vom frühen 20. Jahrhundert an bis über die Nachkriegszeit hinaus.

Schmierenschauspieler Hitler

Er bringt die Erinnerungen der jüdischen Emigrantin Grete Weil („Leb ich denn, wenn andere leben“) heraus, in denen die 1906 Geborene eine Begegnung mit „Schmierenschauspieler“ Adolf Hitler schildert und die so kritischen wie sprachvirtuosen Gedichte des jungen Rühmkorf. Freundschaft schließt er mit Gottfried Benn, der für den diskreditierten Autor Druckerlaubnis durchsetzt und bringt den dicken Familien- und Zeitroman „Theodor Chindler“ von Bernard von Brentano in Deutschland heraus. Dass alle, und nicht nur die Hauptprotagonisten, der oben genannten Acht in der Lesung gleichberechtigt vorkommen sollten, bedurfte einer Pause und zog die Veranstaltung in die Länge. Etwas weniger Textbeispiele hätten auch gereicht.

Gleichwohl – Armin Nufer beherrschte seine Rolle als Rezitator glänzend: aufmerksam und präsent, mitschwingend auf den verschiedenen Stimmungen. Komponistin und Pianistin Zimanowski ergänzte empathisch die individuellen Tonlagen von energisch-kraftvoll bis zu milde-sanft.

Im zweiten Teil ging sie dann tatkräftig mit ihrem Instrument um und nutzte auch dessen Saiten. Schließlich lief es auf den Verlags-Höhepunkt Gottfried Benn zu. Er bringt Leben als ungelöster Widerspruch in Verse und hält als Fazit fest: „…es gibt nur zwei Dinge: die Leere / und das gezeichnete Ich.“ Klug ausgewählt der anschließende Brentano-Text über Goethe in Wiesbaden (1814), dessen „West-östlichen Divan“ und seinem Besuch der Brentano-Familie in Oestrich-Winkel („ich schlief in Goethes Bett“). Furioser Abschluss dann mit Peter Rühmkorfs „Mit den Jahren…“ – dem rhythmischen Parforceritt eines lyrischen Ich-Darstellers durch seine Auftrittsorte. Wiesbaden kommt auch vor. Schwierigst zu lesen – und hervorragend gelesen, und auf dem Klavier die Wortmusik des Poeten nachempfunden. Ein langer, lohnender Nachmittag.


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